Berlinale Tagebuch 2017

Alyam, Alyam | Oh the Days!

Marocco 1978
Forum @Arsenal

Der frisch restaurierte Film und erste marokkanische Film, der jemals in Cannes lief, sorgte für Streitigkeiten ob der Qualität. Durch den dokumentarischen Charakter des Films bekam der gespielte Teil des Films ein paar Längen, jedoch erzeugte er einen detaillierten Einblick in die Lebenswirklichkeit ländlicher Regionen Marokkos, wo mit viel Mühe der Erde die Ernte abgerungen wird. Und Dinge wie eine elektrische Wasserpumpe dann über die Ernte und damit den Reichtum und damit das Leben der Protagonisten entscheidet. Und wie eine Generation heranwächst, die nicht glaubt, dass Gott einen für die harte Arbeit, von Tag zu Tag, irgendwann entlohnt und man daher lieber von Europa träumt, in der Hoffnung, wenigstens einen Schritt aus der Tristesse und Armut herauszukommen.
Während eine Busfahrt weiter plötzlich die Stadt auftaucht, in der die westliche Welt schon letztlich auch schon wartet.
Die vielen Details machten den Alltag und die Schwere dieses Lebens erahnbar. Das macht den Film auch interessant, aber eben nicht unbedingt unterhaltsam.

Sikumi | On the Ice
NATIVe – Indigenous Cinema @Cubix

USA 2008

zusammen mit

Maliglutit (Searchers)

Kanada 2016

Thematisch zum ersten Film passend geht es hier ums Überleben in der Eiswüste Alaskas mit dem Blick auf die indigene Bevölkerung Alaskas, die aber im Gegensatz zur marokkanischen Welt dann doch noch viel archaischer ist. Die nächste Jagd entscheidet über satt sein oder Hunger. Sikumi als Kurzfilm stellt dabei einen beobachteten Mord in den Mittelpunkt und beantwortet die moralische Frage: Zusammenhalt oder Gerechtigkeit. In deinem Setting wie Alaska ist beides beides möglich und der Zusammenhalt vermutlich sogar wichtiger?
Maliglutit szenisch und ästhetisch sehr ähnlich dann aber wie ein klassischer Western im ewigen Eis mit einer Verfolgungsjagd auf alten Schlitten und unter großen Mühen. Die Entschleunigung ist dabei unterhaltsam. So mag man vielleicht sehr dicht dran sein an den Bösen, aber den Weg muss man dann noch erstmal überwinden. Zumindest die Wichtigkeit der unbedingt erfolgreich sein müssenden Jagd war erahnbar, das Fleisch in der Eile durfte auch gerne mal tiefgefroren sein, wie man ein Rudel Hunde dort verpflegt wurde leider bisschen übergangen. Aber es sollte wohl auch gar keine Lebenswirklichkeit gezeigt werden. Jedenfalls sehr unterhaltsam und das trotz der Entschleunigung und etwas zu linearen Handlung.

Discreet
Panorama @Collosseum

USA 2017

Schrotty!

The Misandrists

von Bruce LaBruce
Deutschland 2017
Panorama @Zoo Palast 2

Ein radikal feministischer Film – feministischterroristisch – der radikale Entwurf der Burschenschaft Hysteria, die den Mann ja wenigstens vor ihm selbst beschützen will und einen sicheren und warmen Platz am Herd zusichert, so viel Bruca LaBruce den Männern er ans Gemächt. Da reicht die Anerkennung feministischer Theorien nicht mehr aus. Das macht den Low-Budget Film äußerst unterhaltsam und witzig, die Punkattitüde dahinter ist permanent spürbar, die Überwindung des schwulen Themas herrlich erfrischend. Und das Thema “Frau sein” wird hier am Beispiel einer Trans*Frau weiter definiert. Denn natürlich will dieser Feminismus nicht inkludieren, die totale Überspitzung ist aber vielleicht ein guter Ansatz den realen Feminismus besser zu verstehen. Der richtige Film also für diejenigen, die vom Feminismus getriggert werden und sich mal aufregen wollen.

Mr. Long

von Sabu
Japan, Hongkong, China, Taiwan, Deutschland 2017
Wettbewerb @Haus der Berliner Festspiele

Was anfing wie ein Splattermovie in der Nüchternheit von Tarantino entwickelte sich in eine vollkommen andere, unterhaltsame und melodramatische Geschichte, die sich mal wieder um Nudeln dreht. Japanische Nudeln sind ohnehin immer ein Film wert. Oder eine Riese. Spiegel meinte “Ein Genuss”. Dem schließe ich mich vollumfänglich an.

Untitled

von Michael Glawogger, Monika Willi
Österreich, Deutschland 2017
Panorama Dokumente @CineStar

Glawogger war in seinem letzten Film auf Reisen, über Osteuropa nach Afrika und drehte einen Film über das Unterwegssein. Die Episoden in einer Qualität und szenischen Dichte, dass es selten dokumentarisch wirkte. Der Film selbst wie ein roter Faden durch unsere Berlinale, auch wenn das jüdische New York und das ewige Eis gefehlt haben, so hat der Film doch tatsächlich alle anderen Aspekte irgendwie wieder aufgegriffen.

Menashe

von Joshua Z Weinstein
USA, Israel 2017
Forum @CineMaxx

Ein Film über das jüdische Leben in New York und bei mir die Erkenntnis, dass ich vom jüdischen Leben nichts weiß, was leider auch ein Symptom unserer Zeit ist. Menashe ist dabei ein Mann, der sich zwar bemüht, auch damit sein Sohn bei ihm aufwachsen kann, aber wohl alles andere als perfekt ist in einer Welt, wo das unperfekte eher nicht so zu passen scheint. Und so ist es ein Ritt auf der Rasierklinge, um nicht vom Glauben abzufallen. Dazu die Härte des New Yorker Lebens, wo man mit 8 Stunden arbeiten seine offenen Rechnungen weder begleichen, noch sich im Krankheitsfall versorgen kann. Und jiddische Sprache mit englischen Untertiteln erzeugt eine irre Konfusion im Kopf, weil man dann doch irgendwie vertraute Worte auf englisch nachlesen muss, um sie dann doch richtig auf deutsch zu verstehen.

Pokot | Spoor

von Agnieszka Holland
Polen, Deutschland, Tschechische Republik, Schweden, Slowakische Republik 2017
Wettbewerb @Haus der Berliner Festspiele

Die Jagd scheint in die polnische Gesellschaft tief hingeschrieben zu sein, vom Pfarrer, zum Polizisten bis zum Bürgermeister sind alle involviert, die wenigen, die nicht so viel davon halten kämpfen entsprechend gegen Windmühlen. So auch die Hauptdarstellerin dieses Films, die gleich zu Beginn ihre Hunde durch die Jäger verliert. Und kurz scheint es so, als würde sich der Wald erheben, um sich zu rächen.
Ein okayer Tatortersatz zum sonntäglichen mit Dietmar Bär, der mittags noch vorschwärmte, dass man den doch auf großer Leinwand im Restaurant zeigen könnte, wo man sich gerade befand.

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